Ohne Vorkenntnisse und Partnerzwang
Jeden dritten Donnerstag im Monat steht in der Villa Leon Klezmertanz auf dem Programm



Hand in Hand übers Parkett: Auch morgen kann man in der Villa Leon zu Klezmermusik tanzen. Foto: Stefan Hippel

Jeden dritten Donnerstag im Monat verwandelt sich die Villa Leon (Philipp-Körber-Weg 1) in eine Tanzschule: Unter Anleitung der Erlanger Band "Klezmaniaxx" gibt es eine Einführung in die Welt der traditionellen jüdischen Festtänze. Morgen ist es wieder so weit: Ab 20 Uhr dürfen sich Interessierte an einer "Honga" oder an der Paartanzvariante "Sherele" versuchen.

Hat die Faszination für jüdische Tanzkultur einen religiösen Hinter-grund? Rudolf Treczka seufzt. "Das ist immer die wichtigste Frage in jeder Pause. Nein, keiner von uns ist Jude."
Es ist Donnerstagabend: "Klezmer-
Tants" mit der Erlanger Band "Klez-maniaxx" im großen Saal der Villa Leon. Auch diesmal sind wieder rund 40 Tänzer ins Bürgerzentrum gekom- men - überwiegend Frauen mittleren Alters, die von Freunden davon ge- hört oder in der Pressse darüber gele- sen haben und nun zum ersten Mal dabei sind. Männer bleiben nicht nur an diesem Abend in der Minderzahl.
Für fünf Euro Eintritt gibt es die Möglichkeit, klassische jüdische Kreis- und Reihentänze auszuprobie-ren - ohne Vorkenntnisse und ohne Partnerzwang, dafür unter fachkundi-
ger Anleitung. Die übernimmt Rudolf Treczka. Mit einem weißen Tuch in der Hand als Dirigentenstab und tradi-tionellem Schutz vor Berührung beim Paartanz gibt der Erlanger den Zere-monienmeister. Erklärt behutsam den nächsten Tanz sowie die dazugehöri- gen Schritte und zählt die Musiker ein. "Klezmaniaxx -Schlagzeuger Peter Riedel, der ebenfalls mitten im Saal steht, schlägt die Paikel, die mächtige Trommel, die Band auf der Bühne setzt ein und ein weiterer schier endloser Reigen quer durch den Saal nimmt seinen Lauf.
Gut zehn Jahre ist es her, dass der Bazillus Klezmer den Rockmusiker Rudolf Treczka infiziert hat. Seither widmet sich der Erlanger intensiv der Geschichte dieser lebendigen Musik, studiert Fachliteratur und alte Quel-len, stürzt sich auf jeden greifbaren Tonträger und lässt nichts unver-sucht, um mehr über den Sound zu erfahren, der sein Herz verzaubert hat. Mit den "Klezmaniaxx" versucht er seit 1998, den Jahrhunderte alten Sound der osteuropäischen Juden möglichst originalgetreu und bewusst ungehobelt zu reproduzieren.
Schnell kommt der Mann an der Sousa (eine Bauart der Tuba) ins Schwärmen, erzählt von der alten rus-
sischen Hafenstadt Odessa, dem "New Orleans des Ostens" — einem Schmelztiegel, in dem die Klez-mermusiker erst die Hochkultur in der italienischen Oper versorgten und in den Nächten zusammen mit Zigeu-nerkapellen in den Bordellen der Seemänner spielten. In einer Kultur, in der ein Hochzeitsfest schon mal zwei Wochen lang gefeiert wird, ist das Repertoire groß. Ideen und Anregun-gen für seine "Tantsabende" holt sich der 46-Jährige unter anderem bei den "Klezcamps", einem Workshop für Klezmerbegeisterte, der unter interna-tionaler Dozentenbeteiligung jährlich Anfang August in Weimar stattfindet.
Die kurze Pause ist vorüber. Rudolf Treczka winkt die Teilnehmer zurück in den Saal, wo jetzt ein "Bulgar" ansteht: ein kantiger Gruppenreigen, der wahlweise im Kreis, in Reihen oder paarweise getanzt wird und mit-nichten aus Bulgarien, sondern aus dem östlichen Rumänien stammt. Merke: In der wundervollen Welt des Klezmer ist nicht immer alles so, wie es scheint. STEFAN GNAD